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Der Resonanz-Begriff bei Hartmut Rosa

Mit seiner Theorie der Resonanz, entwickelt im 2016 erschienenen Buch „Resonanz — Eine Soziologie der Weltbeziehung", hat der Soziologe Hartmut Rosa einen Nerv der Zeit getroffen: Die Resonanz auf sein Werk ist bis heute groß. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass der Ansatz eine Art Universalperspektive bietet, die sich in jeder sozialwissenschaftlichen Disziplin anwenden lässt und die ganz große Frage aufwirft: Wie gelingt das Leben?

 

Hintergrund

Hartmut Rosa beschreibt unsere Welt als eine, die zu Steigerung und Wachstum verdammt ist. Um das System aufrechtzuerhalten, müssen Leistungen in einer Gesellschaft der Spätmoderne immer schneller erbracht, Innovationen immer schneller erdacht, Erlebnisse immer schneller gelebt werden. Die ständige Beschleunigung führt nach Aussage des Soziologen zu einer kollektiven Entfremdung. Die Menschen entfremden sich voneinander, von ihrer Arbeit, von ihren Hobbys, Organisationen von der Gesellschaft, die Politk vom Wähler. Diese Formen der Entfremdung wurden künstlerisch und sozialphilosophisch vielfach nachgezeichnet — von Nietzsche über Kafka und Marx bis Habermas und Honneth. Was aber ist der positive Gegenbegriff zu dieser Entfremdung? Diesen entwickelt Rosa unter der Metapher der Resonanz.

 

Grundidee

Den Begriff der Resonanz hat Rosa aus der Akustik übernommen, in der er genutzt wird, um eine Subjekt-Objekt-Beziehung als korrespondierendes System zu beschreiben, in dem beide Seiten sich wechselseitig beeinflussen. Wichtig ist dabei, dass es sich nie um ein „Echo" handelt, also ein einfaches, unverändertes Zurückwerfen einer Schwingung, sondern um eine Eigenschwingung. Mit Belegen aus vielfältigen wissenschaftlichen Disziplinen zeigt Rosa, wie sich diese Metapher in der Realität sozialer Systeme spiegelt. Hier sprechen beide Elemente des Systems „mit eigener Stimme". Weil der, die oder das andere auf empfangene Impulse reagiert und seine „Schwingung" sich dadurch verändert, erleben beide Seiten Selbstwirksamkeit. Ein Gefühl des Gelingens und der Verbundenheit stellt sich ein. Es entsteht Resonanz.

 

Kernmodell

Die möglichen Bezugspunkte solcher Resonanzen werden über drei grundlegende Achsen beschrieben: Horizontale Resonanzen verlaufen zwischen zwei (oder mehr) Menschen, etwa in Liebes- und Familienbeziehungen, Freundschaften, unter Kollegen oder auch im politischen Raum. Beziehungen zu Dingen und Tätigkeiten werden über diagonale Achsen abgebildet, vertikale Resonanzachsen beschreiben die Beziehungen zu den großen Kollektivsingularen wie der Natur, der Kunst, der Geschichte oder der Religion. Entlang all dieser Achsen sind Resonanz-Erfahrungen möglich — aber weder entstehen sie automatisch, noch lassen sie sich „verordnen". Diese Beziehungs- bzw. Resonanz-Erfahrungen bilden für Rosa das Gegenstück zu den instrumentalisierten Beziehungen der immer schneller werdenden Welt. Vor diesem Hintergrund wird Rosas ambitionierte These verständlich: „Wenn Beschleunigung das Problem ist, ist Resonanz vielleicht die Lösung."

 

Leitfrage

Welche Bedingungen fördern gelingende, resonante Beziehungen, welche behindern sie? Das ist die Frage, der Rosa in seiner Theorie nachgeht. Aufgrund der breiten Ausrichtung bezieht er alle gesellschaftlichen Sphären in seine Überlegungen ein: Arbeit, Familie, Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Kunst, Kultur. Eine seiner Grunderkenntnisse ist, dass die Bedingungen spätmoderner Gesellschaften mit ihrem Beschleunigungs- und Steigerungszwang die Resonanz auf allen Ebenen reduziert — das Bedürfnis danach jedoch um so intensiver wird. Ebenso deutlich macht er: Erzwingen oder „herstellen" lässt sich Resonanz nicht. Aber auffinden und begünstigen.

 

Relevanz

Was tun mit einer Theorie, die keine simplen Rezepte bietet? Zunächst hilft sie, blinde Flecken bei der Analyse nicht gelingender Prozesse aufzuhellen. Flow, Achtsamkeit, Motivation und Haltungsfragen — all diese Mindset-Konzepte thematisieren Aspekte der Resonanz-Theorie — aber sie finden keine Generalperspektive dafür. Eine solche bietet Rosas Resonanz-Theorie. Und sie macht klar, dass Resonanz eine auffindbare Ressource ist. Wir können sie nicht herstellen — aber schützen und pflegen.

 

 

Die 3 Resonanzachsen
Beziehung zu den großen "Kollektivsingularen"
Beziehung zu Dingen oder Tätigkeiten
Beziehung zwischen zwei und mehr Menschen

 

(Quelle: B. Hott, F. Pfleghar)